Frau Michalek-Götz, Lviv ist seit knapp sechs Wochen mitten im Krieg. Bitte erzählen Sie kurz, was Sie bisher, bevor der Krieg ausbrach, mit Ihren Partnerorganisationen vereinbart haben, wie die Arbeiten dort liefen, was bisher geplant und umgesetzt wurde.
Kristin Michalek-Götz: Wir haben mit der aktiven Projektarbeit im Januar 2021 begonnen. Pandemiebedingt haben wir vorrangig den Online-Austausch gewählt. Im ersten halben Jahr ging es primär darum, sich anzunähern, sich kennenzulernen und die letzten Formalitäten zu regeln. Nachdem diese ersten Schritte vollbracht waren, haben sich vier Arbeitskreise entsprechend des angezeigten Bedarfs von Lviv gebildet und organisiert. Wir hatten einen Schwerpunkt bei den kostendeckenden Tarifen. Ein zweiter Schwerpunkt bestand in der Anlagen- und Prozessoptimierung, die nochmal unterteilt war in die Wasserversorgung und das Asset Management. Der dritte Schwerpunkt war das bedarfsgerechte Personalmanagement. Die Stadtentwässerung Dresden hat die Lead-Rolle in Deutschland inne. Zudem haben wir noch zwei weitere Partner: das sind die Berliner Wasserbetriebe und die Stadtentwässerungsbetriebe Köln.
Die Pandemie hat uns die Arbeit ein bisschen erschwert. Deswegen war es am Anfang etwas holprig. Aber nichtsdestotrotz war es ein sehr guter Austausch, der vor allen Dingen jeweils aus einer ersten umfangreichen Zustandsanalyse pro Arbeitskreis bestand. Beispielsweise wurde die Mitarbeiterstruktur (Alter, Hierarchie, Qualifikationslevel) sowie die Anlagenstruktur und Verortung auf der Kläranlage eruiert.
Im September 2021 hatten Herr Lenk, der Projektleiter für die Betreiberpartnerschaft, und ich die Möglichkeit, drei Tage nach Lviv zu fahren und konnten unter anderem am Eco Forum teilnehmen. Das ist für ukrainische Wasserverbände ein großes Plenum und Forum. Es waren drei intensive Tage, in denen wir binnen weniger Stunden sehr tiefgründige Einblicke gewinnen konnten – im direkten Austausch mit unseren ukrainischen Kollegen bei einer Führung durch das Verwaltungsgebäude, das Kundencenter und über die Kläranlage und selbstverständlich beim Eco Forum. Das war schon sehr spannend und intensiv. Wir sind mit diesen Eindrücken zurückgefahren, haben mit unseren Arbeitsgruppen gesprochen und Bildmaterial gezeigt. Die Motivation ist deutlich gestiegen. Zudem gab es weitere diverse Workshops, die zum einen durch die „Betreiberplattform zur Stärkung von Partnerschaften kommunaler Unternehmen weltweit“ organisiert wurden, zum anderen auch intern von unseren Kollegen, die Fachvorträge gehalten haben. So haben wir sehr intensiv und gut miteinander gearbeitet.
Im November 2021 ergab sich dann die Möglichkeit für uns, unsere Partnerschaft um zwei weitere Wasserbetriebe der Städte Ternopil und Nadvirna zu erweitern wie auch um den Verband Ukrovodokanalekologiya. Die Herausforderungen sind thematisch in der Ukraine für die Wasserunternehmen sehr ähnlich gelagert. Da standen wir jetzt in den Startlöchern und die Kolleginnen und Kollegen aus Ternopil, Nadvirna und von Ukrovodokanalekologiya haben unsere Workshops teilweise schon begleitet. Erste Abmachungen wurden bereits getroffen. Und dann kam der Krieg.
Wie ist denn die Lage jetzt? Was wissen Sie aus diesen drei Städten?
Kristin Michalek-Götz: Die Projektaktivitäten wurden zunächst auf ein Minimum heruntergefahren. Wir wollten erst den Kolleginnen und Kollegen Raum geben, sich selber mit diesen beängstigenden, unsicheren Veränderungen auseinanderzusetzen. Aber wir haben ganz schnell auch Anfragen erhalten nach technischem Equipment, nach Unterstützung. Wir stehen nach wie vor mit drei Kontakten in einem intensiven Austausch. Sie sagen mir auch, dass die Arbeit weitergeht. Die Ukrainer sind sehr pflichtbewusst und halten die Anlage am Laufen. Sie gehen ihrer Tätigkeit nach und versuchen, unter diesen veränderten Bedingungen eine gewisse Normalität zu leben, die auch einfach notwendig ist: zum einen, um den Krieg jeden Tag aufs Neue zu überleben, zum anderen, weil Abwasserent- und Wasserversorgung für die Leute sehr wichtig sind. Gerade weil Lviv mittlerweile zum Umschlagplatz geworden ist und mit ca. 200.000 zusätzlichen Menschen leben muss.
Wissen Sie, ob Sie in der Lage sind, die Wasserversorgung noch aufrecht zu halten? Oder sind Teile der Wasserinfrastruktur schon zerstört?
Kristin Michalek-Götz: Die Wasserversorgung läuft noch ohne Probleme. Aber sie rechnen mit zunehmenden Schwierigkeiten, weil sich zum Beispiel bei der Lieferung von einigen Chemikalien, wie Chlor und Flockungsmittel Engpässe abzeichnen. Genauso wie mit der Versorgung an Brennstoff: weil der Beschuss erhöht auf Brennstofflager geht. Bisher läuft alles noch, aber man hat eine stille Sorge, dass sich das jetzt nicht mehr über Wochen aufrechterhalten lässt.
Was konnten Sie bisher für ihre Partner tun?
Kristin Michalek-Götz: Nachdem im Februar dieser Krieg ausbrach, ist schnell klar geworden, dass die Leute Hilfsgüter brauchen, vor allen Dingen technisches Equipment. Die Stadtentwässerung Dresden hat prompt einen Aufruf gestartet, auf den sich viele Betreiber gemeldet haben. Sie haben Sachspenden gegeben, zum Beispiel Notstromaggregatoren und Pumpen. In Eigenregie haben wir dann fünf LKWs in die Ukraine entsendet und die fuhren glücklicherweise nahezu ohne nennenswerte Probleme bis nach Lviv durch. Dort hat man die Sendung entgegengenommen und aufgeteilt. Es ging ein Teil nach Ternopil, der andere verblieb in Lviv. Nadvirna ist kleiner und kam bis dahin auch so gut klar.
Aber die Hilfslieferungen sind logistisch sehr anspruchsvoll – allein von den Strukturen, die man bedienen muss. Als Stadtentwässerung stößt man schnell an seine Grenzen. Einfach, weil es ein Alltagsgeschäft gibt – so gerne, wie man helfen will und das macht. Zu Beginn war die Situation sehr unsicher. Wird es überhaupt durchgehen? Es war nicht trivial.
Wir haben mittlerweile Anfragen nach Fachaustausch sowohl aus Lviv als auch aus Ternopil. Es ging banal los mit dem Anschließen von Notstromgeneratoren und erstreckt sich nun auch auf Themen wie Blackout-Konzepte, das heißt welche Aggregate und technische Ausstattung ist jeweils für die gegebene Situation empfehlenswert, welche Verhaltensweisen und Personaleinsätze. Dadurch hat sich das Band zwischen den Partnern und uns noch mal verstärkt.
Wir haben auch ein positiv-verrücktes Beispiel mit unserer Gruppe Asset Management. Da ist ein junger Ingenieur, der war so pflichtbewusst und hat irgendwann über unsere Dolmetscherin, Frau Olga Galema, anfragen lassen, ob wir denn nicht mal wieder ein Arbeitstreffen machen könnten. Die Stadtentwässerungsbetriebe Köln betreuen die Arbeitsgruppe Asset Management. Wir haben gleich miteinander telefoniert und uns gefragt: „Können wir das überhaupt machen? Ist das nicht pietätlos, wenn sie jetzt eigentlich andere Probleme haben?“
Herr Bilynskyy mein Pendant in Lvivvodokanal, war aber so motiviert und hat uns gesagt: „Nein, wir wollen, dass wir jetzt wieder im Austausch stehen!“ Der Arbeitskreis versucht, sich alle zwei Wochen virtuell zu treffen und tatsächlich an den gleichen Themenfeldern nahtlos anzuknüpfen und die Zusammenarbeit fortzusetzen. Das hat uns sprachlos gemacht, aber es ist natürlich auch ein ganz tolles Gefühl!
Eine Rückgewinnung der relativen Normalität...
Kristin Michalek-Götz: Das ist ganz wichtig. Sie denken einfach ein Stückchen weiter in die Zukunft. Dieser Austausch ist das, wovon diese Partnerschaft lebt. Wir haben mittlerweile für uns so viel an Erkenntnissen gewonnen. Das ist schon stark. Das beglückt dann doch, weil es die sehr freundschaftliche Bande stärkt.
Neben den Hilfssendungen und der technischen Ausstattung, was ja absolut wichtig ist, haben wir gemerkt, dass diese mentale Unterstützung ganz zentral ist. Also mittlerweile habe ich jeden Abend mit unserer Dolmetscherin Kontakt und wir haben eine virtuelle Umarmung vereinbart. Sie sagt mir: „Es ist alles okay!“ oder „Es war anstrengend. Mir geht es gerade nicht gut. Es gab wieder die ganze Nacht Luftalarm.“ Das einfach loszuwerden an einer Stelle, die davon erst mal nicht direkt berührt ist, hilft ungemein. Es gibt Ihnen viel Kraft, zu sehen, dass die Außenwelt Anteil nimmt, auch wenn die Hilfe jetzt nur begrenzt sein kann.
Wir hoffen, dass der Krieg ein Ende nimmt und dass unsere Partnerschaft weiterlebt – auch über den offiziellen Projektzeitraum hinaus. Sie ist das, was uns alle verbindet und trotz aller Widrigkeiten auf sehr guten Füßen steht. Das ist das Schöne daran.
Stadtentwässerung Dresden – Lvivvodokanal
Stadtentwässerung Dresden - Ternopil Vodokanal und Nadvirna Vodokanal
Über die Betreiberplattform zur Stärkung von Partnerschaften kommunaler Unternehmen weltweit