Die Ukraine-Konferenz der Landesregierung Nordrhein-Westfalen am 18. November 2024 in Köln bot den Teilnehmenden die Möglichkeit, sich über die verschiedenen Facetten des Wiederaufbaus in der Ukraine zu informieren, sich mit anderen Fachleuten aus den jeweiligen Bereichen auszutauschen und Kontakte zu potenziellen Partnern zu knüpfen.
Die nordrhein-westfälischen Betreiber gehören zu den aktivsten innerhalb der Betreiberplattform: Die Stadtentwässerungsbetriebe Köln (StEB Köln), der Bergische Abfallwirtschaftsverband (BAV), die Emschergenossenschaft/Lippeverband, BonnNetz und die Gelsenwasser AG unterhalten derzeit Solidaritätsbetreiberpartnerschaften mit fünf ukrainischen Versorgungsunternehmen.
Die StEB Köln und der Bergische Abfallwirtschaftsverband (BAV) vertraten dieses fruchtbare Engagement von Betreibern und Kommunen auf der Konferenz und hatten Gelegenheit, sich mit ihren Partnern aus Lviv bzw. dem Distrikt Lubenskyi zu treffen und ihre Arbeit vorzustellen.
Christoph Weith vom SteB Köln stellte die Betreiberpartnerschaft mit dem Lvivvodokanal als Best-Practice-Beispiel für kommunale Entwicklungszusammenarbeit vor. Die Partnerschaft hat sich seit 2019 etabliert und konzentriert sich derzeit auf Spenden, Beschaffungen und den Austausch von Fachwissen. Die Partner streben eine Vertiefung der Zusammenarbeit an, wozu auch die Organisation von Besuchen der Kolleg*innen von Lvivvodokanal in Deutschland und die nachhaltige Unterstützung von Wiederaufbauplänen und -bemühungen gehören.
Monika Lichtinghagen- Bergischer Abfallwirtschaftsverband (BAV) und der Poltawa Oblast (Ukraine) stellten ihre Herausforderungen im Umgang mit Bau- und Abbruchabfällen im Kontext von Krieg und Naturkatastrophen vor und tauschten sich über Ansätze und Lösungen aus.
Die russische Aggression hat nicht nur große menschliche Verluste und Schmerzen verursacht, sondern auch zu einem starken Anstieg von Bau- und Abbruchabfällen in der Ukraine geführt. Dieses Abfallaufkommen, das schon in friedlichen Zeiten mehr als die Hälfte des Gesamtabfalls ausmacht, ist durch den Krieg stark angestiegen und beläuft sich auf Hunderttausende von Tonnen. Es nimmt sowohl auf legalen als auch auf illegalen Deponien Platz ein und übertrifft aufgrund seiner Größe und seines Gewichts die Menge des Hausmülls. Allein in der Region Kyjiw haben sich 185 Tausend Tonnen Abfall angesammelt. Die Regionen Zhytomyr, Sumy, Mykolaiv, Kherson, Chernihiv und Kharkiv sind ebenfalls stark von diesem Problem betroffen.
Kühlmittel, Asbest und weitere Schadstoffe verursachen nach einer Explosion oder einem Beschuss enorme und kostspielige Schäden. Gabi Schock vom Rat der Gemeinden und Regionen Europas plädierte in der Sitzung dafür, „die Abfallwirtschaft so systematisch und frühzeitig wie möglich in den Katastrophenschutz einzubinden“. Eine große Herausforderung sah sie darin, krisensicheres Verwaltungshandeln und politische Voraussetzungen für Abfallwirtschaftskonzepte zu schaffen.
Die Verwertung und das Recycling von Bau- und Abbruchabfällen bleibt auch in Ländern, in denen kein Krieg herrscht, eine Herausforderung. Die hohen Verwertungsquoten von Bau- und Abbruchabfällen in Europa werden größtenteils dadurch erreicht, dass die zurückgewonnenen Bau- und Abbruchabfälle für Verfahren wie Auffüllungen und geringwertige Verwertungsanwendungen verwendet werden.
Bauabfälle, die durch Explosionen und Beschuss entstanden sind, unterscheiden sich von „klassischen“ Abfällen, da sich in ihnen Reste von Materialien unterschiedlicher Struktur und Herkunft vermischen, was ihre Wiederverwertbarkeit beeinträchtigt. Durch die Explosion werden Strukturelemente, Materialien und Gegenstände, die sich in einem Wohn-, Industrie- oder öffentlichen Gebäude befanden, unkontrolliert durcheinander gebracht und verformt. Umso wichtiger ist es, giftige Materialpartikel von anderen Rückständen zu trennen. Wenn gefährliche Baustoffe wie Asbestschiefer nicht von anderen Materialien getrennt werden können, müssen alle Abfälle auf einer Deponie vergraben werden.
Dennoch wurden in der Ukraine erste positive Erfahrungen mit dem Recycling von Bau- und Abbruchabfällen gemacht. Bart Gruyaert von der französischen Firma Neo-Eco präsentierte eine erfolgreiche Erfahrung mit der Wiederverwendung von Bau- und Abbruchabfällen nach dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft in Gostomel, Ukraine. Im Rahmen des Projekts wurde beim Abriss eines ganzen Gebäudes eine Recyclingquote von 90 % erreicht, wobei nur 10 % der Bauabfälle auf einer Deponie landeten. Die Nutzung der Arbeitskraft von Kriegsveteranen und die Integration einer psychosozialen Unterstützungskomponente in die Projekte ist ein bewährtes Verfahren und ein Markenzeichen von Neo-Eco, wenn es um Recyclingprojekte für kriegszerstörte Gebäude geht.
In Deutschland gibt es für kommunale Unternehmen wie den Bergischen Abfallwirtschaftsverband (BAV) keine offizielle Entsorgungspflicht für Bau- und Abbruchabfälle, wie es bei Hausmüll der Fall ist. Der BAV ist sich jedoch bewusst, dass dieses Abfallaufkommen für jede Stadt oder Region, die versucht, eine Kreislaufwirtschaft zu etablieren, von zentraler Bedeutung ist. „Der BAV sucht aktiv nach Lösungen für Bau- und Abbruchabfälle“, sagt BAV-Direktorin Monika Lichtinghagen-Wirths.
In Zusammenarbeit mit der Wissenschaft entwickelt der BAV innovative „Rezepte“ für grüne Versionen von Beton und anderen im Bausektor benötigten Ressourcen. Außerdem leitet der BAV einen regionalen Runden Tisch zum Thema Bauschuttrecycling, an dem Landesregierung, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft teilnehmen. Dieses Format trägt dazu bei, notwendige Verbesserungen in der Gesetzgebung zu identifizieren, Akteure zusammenzubringen und innovative Projekte in diesem Bereich zu erproben.
Obwohl das High-Tech-Segment der Maschinen und Anlagen für das Recycling von Bau- und Abbruchabfällen in Deutschland in privater Hand ist, tragen die kommunalen Versorgungsunternehmen mit öffentlichen Anlagen, Know-how und wirkungsvollen Kampagnen zur Umwelterziehung zum Bau- und Abbruchrecycling bei.
Das Fehlen etablierter Geschäftsmodelle, Sicherheitsbedenken und fehlende Laborkapazitäten für die Asbestanalyse in der Ukraine stellen für deutsche Unternehmen eine Herausforderung dar, sich im Baustoffsektor in der Ukraine zu engagieren.
Ein Beispiel, das Hoffnung macht, ist die Stadt Leverkusen, die eine Städtepartnerschaft mit der Stadt Nikopol unterhält: Einer Stadt, die unter ständigem Beschuss der russischen Streitkräfte steht. Mit Unterstützung der GIZ und aus städtischen Mitteln ist es Leverkusen gelungen, mehrere Fahrzeuge zu beschaffen und an Nikopol zu spenden, mit denen Abfälle aus zerstörten Gebäuden auf Deponien oder aus der Stadt transportiert werden.
Andrii Soronchinskyy, ein Vertreter, stellte die Herausforderungen im Zusammenhang mit Abbruchabfällen in der Oblast Poltawa vor: Einer Region, die von Explosionen und Bombardierungen betroffen war, in der die Menge an Bauschutt jedoch noch unter der Schwelle liegt, die private Investitionen anziehen könnte. Im Anschluss an die Konferenz besuchte eine Delegation aus der Oblast Poltawa ein Recyclingunternehmen in Leverkusen, wo sie sich über Verfahren, Maschinen und die konkrete Handhabung von Bau- und Abbruchabfällen informierte.
Das Zusammentreffen deutscher und ukrainischer Akteure zur Erörterung der Herausforderungen im Zusammenhang mit kriegsbedingten Abbruchabfällen machte sehr deutlich, dass es ein großes Potenzial für internationale Zusammenarbeit gibt. Viele Herausforderungen warten darauf, bewältigt zu werden, und der Expertenaustausch sollte fortgesetzt werden, um konkrete Optionen für Versorgungspartnerschaften zu ermitteln.